Julia Degen ist eigentlich Betriebswirtin und hat jahrelang bei Siemens gearbeitet. Heute aber leitet sie zusammen mit ihrem Mann das Restaurant Pizzazza – nicht immer vor Ort, aber auch ganz sicher nicht im Verborgenen! Das so zu sagen, musste sie aber auch erst lernen.
Die Mutter zweier Teenager betreut alle Marketing-Aktivitäten des Pizzazzas in München. Und seit diesem Jahr zaubert sie jede Woche eine neue Pizza-Idee aus dem Ärmel
Wie schaffst Du es, das Restaurant und die Familie unter einen Hut zu bringen?
Ich glaube dabei hilft mir, dass ich schon immer sehr strukturiert arbeiten und organisieren konnte und, egal in welchem Bereich, nach kreativen Lösungen suche. Dass ich selbst gerne koche und esse, schadet auch nicht wirklich.
Aber gastronomisch „vorbelastet“ warst Du nicht?
Nein, gar nicht. Ich bin in Hamburg geboren und – mit ein paar Unterbrechungen – auch dort aufgewachsen bis ich 13 war. Dann sind wir nach München gezogen. Von meiner Mutter habe ich auch die Begeisterung für gutes Essen und Kochen mitbekommen – aber auch ihre Offenheit und Neugierde auf das Leben. Meine Eltern haben ein etwas unstetes Leben geführt. Dass sie sich zweimal scheiden ließen, nachdem sie sich zweimal geheiratet hatten, führte auch dazu, dass wir oft umgezogen sind. So war ich aber auch nicht so sehr ortsgebunden und bin nach dem Abi erstmal ein halbes Jahr in die USA und über ein Jahr nach Spanien gegangen. Die Zeit dort war die aufregendste Zeit meines Lebens. Ich konnte anfangs die Sprache nicht, musste dann Schule und einen Job als Lehrerin unter einen Hut bringen – aber genau das war einfach spannend.
Wobei Du Dich danach trotzdem für ein eher konservatives Studium entschieden hast?
Ja, Betriebswirtschaft klingt natürlich nicht besonders aufregend (sie lacht). Aber, wie schon gesagt: Ich liebe Struktur. Meine Anstellung bei SIEMENS klingt sicher auch nicht nach Abenteuer. Dort hatte ich allerdings wirklich einen fantastischen Job mit viel Personalverantwortung und häufigen Reisen. Und, das muss ich auch sagen, einen Chef, der mich sehr gefördert hat und mir immer neue Aufgaben anvertraut hat.
Aber dann trat die Gastronomie in Dein Leben – dein Mann :.)
Stimmt, er hat schon damals in der Gastro gearbeitet. Und ein bisschen haben ich mich sicherlich auch in ihn verliebt, weil wir beide gutes Essen lieben; vor allem aber, weil wir eine sehr tolerante Lebenseinstellung teilen und er großen Familiensinn hat.
Den Familienwunsch habt Ihr Euch erfüllt – durch die Adoption Eurer beiden Kinder. Wobei eine Adoption die Kombination von Job und Familie, glaube ich, noch schwieriger macht?
Nicht schwieriger, sondern anders. Aber ich wollte auch zunächst gar keine Kombination – sondern eine Familie. Die Adoption unserer beiden Kinder war einer der prägendsten Ereignisse in meinem Leben. Bei unserem Sohn ging alles so wahnsinnig schnell: Natürlich gab es unendlich viele Vorgespräche: Aber dann waren wir innerhalb von 12 Stunden Eltern und unser ganzes Leben hat sich von jetzt auf gleich geändert. Bei unserer Tochter hatten wir ein wenig mehr Vorbereitung, aber auch da stand unsere Welt Kopf – und ehrlich gesagt hat sich daran bis heute – die beiden sin 11 und 15 Jahre alt – nicht viel geändert. Und das meine ich im absolut positiven Sinn!
Ihr habt Euch dann ja auch selbstständig gemacht. Wie läuft die Arbeitsteilung?
Ich würde sagen, dass wir eine eher traditionelle Arbeitsaufteilung haben. Das liegt zum einem daran, dass mein Mann als Gastronom nun einmal sehr viel Zeit in unserem Restaurant verbringt und damit nicht so viel Zeit für die Kinder hat. Zum anderen haben wir uns aber auch ganz bewusst dafür entschieden. Es war uns von beiden klar, dass sich, gerade am Anfang, einer mehr um die Kinder kümmern würde. Und ich wollte und will auch Zeit für unsere Kinder haben und sie eben nicht komplett fremdbetreuen lassen. Eine Haltung, die übrigens insbesondere bei anderen Frauen oft auf Unverständnis und Ablehnung gestoßen ist!
Du selbst hast sie nie bereut?
Ich gebe offen zu, dass ich diese Entscheidung immer mal wieder in Frage gestellt habe und meinen Job, die intellektuellen Herausforderungen und den damit verbundenen Erfolg und Unabhängigkeit vermisse. Aber bereut: Nein!
Wir beide haben uns schon manchmal darüber unterhalten, dass wir Frauen uns leider schwer tun, unsere Leistungen selbst richtig zu würdigen. Und du hast mich ertappt, dass ich in der Einleitung zu diesem Interview auch zunächst mal geschrieben hatte „hinter den Kulissen“. Das war natürlich gar nicht abwertend gemeint – aber es vermittelt den völlig falschen Eindruck.
Genau. Das hat in der Vergangenheit gestimmt, aber jetzt versuche ich es zu verändern. Ich will mich gar nicht mehr verstecken. Das war nämlich bisher immer meine eigene bescheuerte Haltung, Dabei habe ich auch früher schon an der Speisekarte mitgewirkt oder Schulungen fürs Personal gehalte. Und immerhin habe ich auch das Konzept für’s Pizzazza gemacht, mit dem wir es überhaupt erst von der Brauerei bekommen haben. Ich bin nicht „am Gast“ aber ohne mich gäbe es das Pizzazza nicht und es wäre auch ganz sicher nicht so wie es heute ist.
Julia – genauso muss es heißen – danke für diese wichtige Korrektur!
Was macht Dir heute am meisten Spaß im Restaurant?
Am meisten Spaß macht es mir natürlich, neue Ideen zu entwickeln (im Moment z.B. immer wieder neue Pizzen zu kreieren) und zu sehen, wie diese Ideen bei den Gästen ankommen. Aber auch mich in neue Marketingaktivitäten einzulernen, sie anzuwenden und zu sehen, welche Erfolge man damit bewirken kann.
Und was magst Du am wenigsten?
Am anstrengendsten finde ich die Personalsuche. An sich arbeite ich ja sehr gerne mit Menschen zusammen, aber es ist einfach so schwierig Personal zu finden, das unsere Begeisterung für die Gastronomie teilt.
Du bist im Corona-Jahr 2020 zu uns gekommen. Wie hast Du das bisher erlebt?
Corona bedeutet natürlich für uns, wie für jeden anderen, eine enorme Belastung. Die Sorgen um unser Restaurant, Homeschooling oder Wechselunterricht mit den Kindern, die im zweiten Lockdown auch noch kaum etwas haben, mit dem sie außerhalb der Familie Zeit verbringen können. Das alles bedeutet natürlich auch wenig Freiraum für mich selbst. Andererseits bin ich in dieser Zeit auch sehr kreativ geworden und habe viel Tatendrang entwickelt. Neben der Angst und den Sorgen gab es da auch ganz viel Energie in mir, die freigesetzt wurde – das lag sicher auch an tollen Menschen, die ich in dieser Zeit kennengelernt habe.
Wir sind ja die Culinary LADIES. Hast Du je das Gefühl gehabt, es als Frau schwerer zu haben?
Ja auf jeden Fall. Insbesondere wenn man Mutter wird, wird es schwierig. Als ich aus meiner ersten Elternzeit zurückkam, gab es in meiner Firma gerade eine Umstrukturierung im Rahmen derer auch die Abteilung, die ich geführt hatte, aufgelöst werden sollte. Ich hätte die Auflösung gerne übernommen und das auch trotz meiner geringeren Wochenarbeitszeit geschafft. Aber meine männlichen Vorgesetzten waren nicht dieser Meinung („Das schaffst Du doch jetzt gar nicht mehr mit Deiner Familie“) und ich war einfach nicht stark genug, mich durchzusetzen und bekam dann einen Sachbearbeiterjob, der mich natürlich überhaupt nicht glücklich machte.
Was könnte man dagegen tun?
Firmen müssten flexibler werden, wenn sich die familiäre Situation der Frauen ändert. Ansonsten werden Frauen, wenn sie Kinder haben weiterhin in Halbtagsjobs feststecken. Und das ist auf lange Sicht für die ganze Familie gefährlich.
Was würdest Du Dir heute selbst raten, wenn Du als Dein jüngeres Selbst vor Dir stehen würdest?
Ich glaube, ich würde meinem jüngeren Ich sagen: Sei mutig! Trau dich! Steh Dir nicht selbst im Weg und kümmere Dich nicht so viel, um das was andere sagen oder denken könnten.
Was ist Mut für Dich?
Mut ist für mich andere Perspektiven einzunehmen und seinen eigenen Standpunkt kritisch zu überdenken. Aber auch Herausforderungen anzunehmen und Fehler zu machen. Mut bedeutet für mich, den Gedanken wegzuschieben: „Das kann ich ja sowieso nicht.“ Mut ist, nicht immer daran zu denken, was andere sagen / denken werden.
Gibt es etwas, was Dich richtig wütend macht?
So richtig wütend machen mich Vorurteile und die damit verbundene Ignoranz. Besonders regen mich Vorurteile gegenüber anderen Kulturen, Glauben und anderen Menschen auf. Für mich war und ist es noch immer kaum zu ertragen, wenn ich hier in Deutschland Ablehnung und Hass gegenüber Flüchtlingen sehe. Natürlich ist Integration schwierig und auch ich bin in meiner Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit an meine eigenen Grenzen gekommen. Aber zu helfen / menschlich / christlich zu sein, ist nun mal nicht einfach, sondern sehr herausfordernd.
Vielfalt ist Reichtum, niemals Bedrohung! Ich liebe diesen Satz! Denn der Kontakt zu anderen Kulturen, Sprachen, Essen hat mein Leben schon immer so viel bunter und reicher gemacht.
Und ein schöneres Schlusswort könnte es gar nicht geben. Vielen Dank Julia.
Das Pizzazza findet Ihr auf www.pizzazza.de
Auf Instagram könnt Ihr Julia und ihren kreativen Pizzen folgen auf @pizzazza180
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