Barbara van Melle in Wien zu treffen, war wirklich etwas Besonders und ich danke Aimée Klein für diesen Kontakt (wie für alle anderen auch). Denn Barbara von Melle ist für mich wieder einmal ein grandioses Beispiel dafür, wie man auch über 30 etwas ganz Neues erschaffen kann, wenn man sich leidenschaftlich engagiert – und vielleicht auch ein wenig Glück hat und die richtigen Leute kennt. Aber ganz ehrlich, auch das muss man sich oft erstmal erarbeiten.
Dies ist also ein Gespräch über eine Kindheit, die den Respekt gegenüber Lebensmitteln geprägt hat, über eine Frau, die vier Kinder, eine journalistische Karriere und ein enormes Engagement für Food aber auch für Menschen unter einen Hut bringt, und die inzwischen ein Brot-„Unternehmen“ aufgebaut hat, dass es in dieser Form noch nicht gab.
Frau van Melle, Sie sagen, Ihre Liebe zu Lebensmitteln und Genuss wurde in Ihrer Kindheit geprägt – übrigens obwohl ihre Mutter als erfolgreiche Juristin gearbeitet hat.
Ja, aber sie hat zu Hause dennoch wahnsinnig gerne gekocht. Wir hatten einen großen Garten und so bin ich mit dem Privileg aufgewachsen, dass es nicht nur jeden Tag etwas Vernünftiges zu essen gab, sondern ich auch wusste, wie wirklich frische Paradeiser (Tomaten) schmecken oder Äpfel, und wie man aus alten Apfelsorten einen Apfelstrudel macht. So etwas prägt. Ich hatte auch meine erstes Kochbuchsammlung schon als Elfjährige. Fast mein ganzes Taschengeld ging für neue Bände dahin. Und damals hab’ ich auch mein erstes Dessert für die Familie gemacht.
Und was hat es mit dem Schwein auf sich?
Bei uns wurden auch ganze Schweine verarbeitet und Würste gemacht. Meiner Mutter war es immer wichtig, dass wir das auch miterleben, damit wir mehr Respekt vor dem Produkt bekommen. So haben wir Kinder Erfahrungen gemacht, die sonst nur auf Bauernhöfen selbstverständlich sind. Das hat unter anderem dazu geführt, dass ich wirklich sehr respektvoll mit allen Lebensmitteln umgehe.
Ich habe beispielsweise eine Freundin, die mir ihre Zwetschgen, eine alte Sorte, bringt. Und die kommen halt zu mir, wenn sie richtig schön reif sind – nicht wie die aus dem Supermarkt, die eh nie ganz reif werden und schon lange vorher ihren Geschmack verloren haben. Dann muss ich sie eben auch sofort verarbeiten. Auch wenn ich sie zwischen zwei Moderationsaufträgen, die bis weit in den Abend gehen, an einem Tag über sieben oder acht Stunden schmoren und am nächsten nachts um eins in meiner Küche abfüllen muss. Aber ich kann sie eben nicht einfach liegen lassen, weil ich grad was anderes zu tun habe. Doch der Geschmack am Ende ist dann auch unvergleichlich.
Apropos „was anderes zu tun“. Trotz Ihre Liebe zu allem, was mit Essen zu tun hat, sind sie ja zunächst mal Journalistin geworden und zwar Wissenschaftsjournalistin.
Ja, aber ich habe mich auch in dieser Zeit oft mit Themen der Nahrungsmittelproduktion beschäftigt. Da ging es dann natürlich um ganz andere Schwerpunkte, um europaweiten Tiertransport oder Gentechnik in der Landwirtschaft oder beispielsweise eine Doku über Sojaproduzenten in den USA. Aber es war immer eine reflektierte Auseinandersetzung mit Lebensmitteln und deren Produktion.
Sind Sie denn da doch noch zum Kochen gekommen?
Immer (mit Ausnahme der Zeiten, in den ich unterwegs war natürlich) und mit großer Begeisterung. Ich habe vier Kinder und bin zutiefst davon überzeugt, dass wir Erwachsene unsere Kinder von Anfang an auf diese Reise zum Geschmack mitnehmen müssen. Bei Schnitzel und Pommes als Hauptnahrungsmittel erhalten sie keinen großen Geschmackshorizont.
Ihre Karriere im Fernsehen ging steil nach oben, zwar nicht mehr mit Wissenschaftsthemen aber dafür mit einer eigenen Sendung …
Der erste große Schritt war die Moderation der Hauptabendsendung „Thema“, die ich sieben Jahre moderiert habe. Danach wurde mir die Sendung „Schöner leben“ angeboten, erstmals ein Format der Unterhaltungsabteilung. Der Wechsel von der Information in die Unterhaltung war anfangs gewöhnungsbedüftig. Aber dann hab’ ich beschlossen, mein Hobby zum Beruf zu machen und habe mit meinen entsprechenden Gästen über Kochen und Lebensmittel gesprochen – und das hat wunderbar funktioniert, die Sendung war sehr erfolgreich.
War Slow Food dann ein weitere Puzzlestein, denn schließlich wurden sie auch Slow-Food-Präsidentin?
Slow Food-Obfrau in Wien! Auch wenn wir viele internationale Projekte gemacht haben, den Begriff „Präsidentin“ mag ich nicht so. Aber ja, ich bin seit 12 Jahren Obfrau von Slow Food Wien.
Wie hat sich denn das ergeben?
In meinem Leben gab es ehrlicherweise immer ganz tolle Zufälle und so ist mir Slow Food auch irgendwie einfach passiert. Ich kannte die Organisation natürlich, war auch Mitglied, nur hat sich da lange in Wien wenig bis gar nichts getan. Letztendlich haben mich Amerikaner dazu gebracht – und mein Engagement für Flüchtlingskinder.
Das klingt nach einer ungewöhnlichen Geschichte …
Stimmt, ein wenig skurril. Ich hatte damals schon länger mit Projekten für Flüchtlingskinder gearbeitet. Dann kam der amerikanische Regisseur Peter Sellars 2004 im Rahmen der Wiener Theaterfestwochen hierher und hat 2004 ein Stück von Euripides inszeniert, in dem es um Flucht und Vertreibung geht.
Es war meine erste Zusammenarbeit mit ihm. Und immer, wenn ich Menschen näher kennen lerne, dann koche ich irgendwann für sie. So ist Peter eben auch zu uns zum Essen gekommen. Schon damals hat er gesagt, ich müsse unbedingt seine beste Freundin Alice Waters kennen lernen, die in den USA eine Grünen-Ikone und bis heute Vizepräsidentin von Slow-Food International ist.
Dieses Kennenlernen hat dann aber erst 2006 stattgefunden?
Ja, die ganze Geschichte wäre hier zu lang, wichtig ist nur: die beiden haben mich letztendlich überzeugt, mich für Slow Food zu engagieren. Vor allem nachdem ich dann das erste Mal auf die Terra Madre, die große Slow Food Messe in Turin, gefahren bin. Da stand ich und habe all diese Bauern und Fischer und Produkte gesehen – und nichts davon aus Österreich. Ich habe dort auch erlebt, wie leidenschaftlich sich Mitglieder als Netzwerk für Biodiversität und Nachhaltigkeit einsetzen. Dann suchte auch noch das Convivum in Wien gerade nach einer Leitung und… und ich war geknackt. Ich bin nur mit Carlo Petrini (dem Slow Food Gründer) überein gekommen, dass wir keinen nationalen Verein gründen. So musste ich eben auch nicht Präsidentin werden.
Sie engagieren sich seit 12 Jahre als Obfrau von Slow Food Wien für die Ziele der Bewegung, in dieser wurde vieles erreicht, nationale und internationale Projekte vorangetrieben. Warum jetzt nicht mehr in diesem Ausmaß?
Ja, wir haben wirklich viel erreicht. Wir haben zweimal in Wien die nationale Terra Madre im Wiener Rathaus auf die Beine gestellt und zum Beispiel auch Slow Food Travel entwickelt und ich habe in dieser Zeit wirklich sehr viele tolle Menschen kennen gelernt. Warum ich jetzt nicht mehr in diesem Ausmaß für Slow Food arbeite? Einerseits, weil ich nun meine ganze Energie für den Aufbau des eigenen Unternehmens „Kruste&Krume“ brauche und um ehrlich zu sein, weil ich auch die Schattenseiten kennengelernt habe. Wenn Mitglieder von Organisationen wie Slow Food sich einem starren Schwarz-Weiß-Denken verschrieben haben, mit dem ich persönlich gar nicht zurecht komme.
Können Sie mir näher erklären, was Sie mit diesem Schwarz-Weiß-Denken meinen?
Nur mit einem kleinen eigenen Beispiel, denn das Thema ist natürlich sehr viel komplexer. Ohne im Gespräch vorzugreifen: An meinem Brotfestival nehmen nicht nur kleine Bäckereibetriebe teil, die man sofort als Slow-Food-Bäcker bezeichnen würde.Zum Brofestival kommen auch große Unternehmen und das wird von vielen oft nicht verstanden. Dabei ist es eine Tatsache, dass die Größe eines Unternehmens nichts über die handwerklichen Fähigkeiten oder gar über die gelebte Nachhaltigkeit im Betrieb aussagt.
Um es einfach zu machen: Klein heißt nicht immer gut und groß heißt nicht immer schlecht. Es gibt kleine Betriebe, die ausschließlich mit Backmischungen arbeiten und es gibt zunehmend mehr große Bäckereibetriebe, die sich dem Handwerk verschreiben, die sich wieder auf traditionelle Rezepte besinnen, Natursauerteige kultivieren und Lehrlinge ausbilden.
Schwarz-Weiß-Denken ist daher nicht angebracht, davon bin ich überzeugt. Viele Slow Food Mitglieder akzeptieren das so oft nicht, und ich bin des Diskutierens überdrüssig. Ich will aktiv etwas bewegen, etwas zum Guten und Besseren verändern. Und ich habe gemerkt, dass ich das nur machen kann, wenn ich nach all den Jahren etwas Eigenes auf die Beine stelle.
Das ist Ihnen ja gelungen, denn das Eigene wurde ja nicht nur ihr erstes Back-Buch?
Für dieses Buch bin ich durch ganz Österreich gereist und habe sehr viele Bäcker kennen gelernt. Da ist auch meine journalistische Ader durchgekommen und ich habe mit ihnen nicht nur über Rezepte sondern natürlich auch über unterschiedliche Betriebsstrukturen und die (Hinter)-Gründe für das Bäckersterben unterhalten. In Österreich schließen jedes Jahr 60 Bäckereibetriebe! Das hat natürlich unterschiedliche Gründe, aber sicherlich ist einer davon, dass die Menschen gar nicht mehr wissen, was gutes Brot eigentlich bedeutet.
War das die Grundlage für Ihr erstes Brotfestival?
Den letzten Anstoß dafür habe ich bekommen, als ich mit meinem Mann in Irland auf einem Oyster-and-Seafood-Festival war. Plötzlich war mir klar: Man müsste eine Bühnenshow für das Bäckerhandwerk machen.
Viele haben aber skeptisch auf diese Pläne reagiert …
Die meisten. Da hieß es: „Warum soll denn ein Bäcker aus Tirol nach Wien kommen, der verkauft doch hier nie wieder ein Brot?“ Also habe ich das finanzielle Risiko erst mal selbst übernommen, alle meine Kontakte, die ich durch das Buch hatte, mobilisiert – und 2016 fand das erste Backfestival statt. Mit 5000 Besuchern!
5000 Besucher beim ersten Mal?
(sie lacht) Ja, und die standen im Schneetreiben Schlange um reinzukommen. Die Zeitung hat damals geschrieben. „In Wien stellen sich die Menschen zum ersten Mal seit dem Krieg wieder für Brot an.“
Der Eintritt war aber auch frei?
Ja, und obwohl mir für das nächste Jahr (2017) viele geraten haben: „Du musst Eintritt verlangen“, habe ich mich geweigert. Ich wollte und will ja mit diesem Festival auch diejenigen erreichen, die sonst im Supermarkt einkaufen gehen und noch nie einen Bäcker live erlebt haben, nicht nur die sogenannte Foodcommunity, die schon alles kennt. Das Problem war nur: Jetzt kamen 10.000 Leute! Daher gab es dieses Jahr, also 2018, zum ersten Mal doch einen Eintritt und auch im nächsten Jahr werden wir den wieder verlangen. 8 Euro, das ist glaube ich angemessen.
Und was wurde und wird den Gästen eigentlich bei diesem Brotfestival geboten?
Es gehören mehrere Säulen dazu, angefangen mit dem Bäckermarkt, auf dem schon 2018 neben den Bäckern aus ganz Österreich auch Bäcker aus Italien und Slowenien mit ihren ganz speziellen Produkten dabei waren. Dann gab und gibt es eine Bühnenshow, die HTL Wels, als wichtigste Bäckerschule ist vertreten, das ist mir ein großes Anliegen. Wir haben Kinderworkshops und Profiworkshops, die übrigens immer ausgebucht waren, und einen Brotbackwettbewerb für Hobby- und für Profibäcker. Und 2019 kommen die Bäcker zusammen mit ihren Lieferanten, um sich gemeinsam zu präsentieren.
Schulungen und die Lieferanten der Bäcker, das passt natürlich auch zu Ihrem Gesamt-Konzept , dass sich mittlerweile ganz schön ausgeweitet hat. Zunächst mal das erste Wiener Brotbackatelier.
Ja, das ist wirklich wunderschön geworden. Ich mache das alles ja zusammen mit Simon Wöckel, einem grandiosen jungen Bäckermeister. Wir teilen unsere Leidenschaft für gutes handwerklich produziertes Brot aus guten Zutaten. Und wir haben festgestellt, dass wir damit viele Menschen anstecken können.
So wurde aus unseren ersten vereinzelten Backworkshops das Brotbackalier, passenderweise im Wiener Mühlenviertel. Und was die Lieferanten angeht, im November haben wir die erste Brot-Greisslerei in Wien eröffnet, das erste Spezialgeschäft für Bäckermehle, Backzutaten und Backzubehör in Österreich.
Also erst einmal: Wer besucht Brotbackkurse?
Zu uns kommen die unterschiedlichsten Menschen. Das fängt mit Müttern aber auch zunehmend Vätern mit ihren Kindern an. Unser jüngster Teilnehmer war 11 Jahre alt, dem mussten wir eine Kiste unterschieben, damit er auf den Tisch schauen konnte. Aber es geht auch bis zur 92 Jahre alten Dame und dazwischen findet sich alles vom Akademiker, der den Termin von seiner Sekretärin ausmachen lässt, bis zur Tante vom Land, die den Kurs geschenkt bekommen hat.
Sie hatten auch eine ganz besondere Teilnehmerin …
Ja, da ist mir wirklich das Herz aufgegangen. Sie kam zwei Wochen nach ihrem ersten Kurs wieder und erzählte mir, sie sei Schmerzpatientin, leide seit drei Monaten unter Rückenschmerzen, aber während unseres Workshops habe sie zum ersten Mal nichts verspürt. Deswegen würde sie jetzt weitere Kurse besuchen, denn es erde sie einfach. Über solche Menschen die merken, wie glücklich sie das Brotbacken macht, freue ich mich total.
Nochmals zur Greisslerei. Damit runden Sie – zunächst mal – Ihr Brotkonzept ab, weil sie auch mit Mehlliefferanten arbeiten. Ist Mehl denn so interessant?
Ja, Mehl wird noch immer ein bisschen stiefmütterlich behandelt. Es gibt die tollsten Schokoladengeschäfte, Kaffeeröstereien, die Craftbeerbewegung – aber das Thema gute Produkte ist beim Mehl genau dasselbe. Was Sie im Supermarkt bekommen, das sind Haushaltsmehle, Weizen und vielleicht noch Dinkel- oder Roggenmehl aber keine echten Bäckermehle, wie wir sie jetzt verkaufen. Wir arbeiten auch mit Müllern zusammen und bieten zahlreiche Mehl-Sorten in verschiedenen Ausmahlgraden aus unterschiedlichen Anbaugebieten und Jahrgängen.
Jahrgänge beim Mehl?
Ja! Bei Mehlen ändert sich die Enzymatik, wenn es beispielsweise in einem Jahr viel oder wenig regnet.
Irgendwie glaube ich nicht, dass Ihre Pläne schon am Ende sind?
(lachend) Mal sehen. Jetzt fangen wir jedenfalls an, auch englische Workshops anzubieten und wir haben wir auch noch einen You-Tube Channel aufgebaut, auf dem es jeden Dienstag ein Rezept gibt .
Ich danke Ihnen, dass sie da auch noch Zeit für ein Gespräch mit mir hatten – und werde sie sicher am 23. März in Wien auf dem Brot-Festival wieder besuchen.
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Bildnachweise; Kruste und Krume / Lukas Lorenz