Als Quereinsteigerin hat Regina Stigler es geschafft, sich im Weingut der Familie einen ganz eigenen Aufgabenbereich zu schaffen – auch wenn sie zwischendurch mal des Gefühl hatte, in eine Falle getappt zu sein. Die ehemaligen Lehrerin für Biologie und Mathematik ist ausserdem ein lebendes Plädoyer dafür, dass man gar nicht mehr von Work-Life-Balance sprechen muss, wenn man seinen Alltag liebt.
Du bist zwar in das Weingut Deines Mannes eingestiegen – und warst zu diesem Zeitpunkt Lehrerin für Biologie und Mathematik – aber Du hattest den Wein ja schon im Blut …
Stimmt, meinen ersten Wein habe ich so ungefähr mit sechs Jahren getrunken. Mein Großvater war Winzer, hat seine Trauben zwar bei einer Genossenschaft abgeliefert, aber zu Hause gab’s zur Vesper den Hauswein. Und am Tisch hab’ ich dann ein kleines Schnapsgläschen bekommen mit ein paar Tropfen Wein und Wasser dazu. Und es hat immer geschmeckt.
Naja in Bayern gab’s früher den Bier-Dutzi (selbstgemachter Schnuller, der in Bier getunkt wurde), da haben die Kinder besser geschlafen!
Gut, das ist vielleicht ein bisschen früh. Aber wir haben es bei meinen Kindern mit dem Weintrinken ähnlich gehalten wie mein Großvater bei mir. Damit war das nie so ein Hype oder etwas, was sie mal unbedingt ausprobieren mussten. Sie kannten die Wirkung von Alkohol ganz genau und sowas wie Komasaufen war da wohl gar nicht interessant. Vor allem haben sie aber auch mitbekommen, dass es nicht um den Alkohol geht, sondern um den Genussmoment.
Warum aber hat es dich eigentlich nicht gleich zum Wein gezogen, sondern erst in die Schule?
Ich wollte vor allem immer mit Menschen zu tun haben, und tatsächlich war es schon als kleines Mädchen mein Traum Lehrerin zu werden. Kurz bin ich allerdings davon abgekommen und habe überlegt Lebensmitteltechnologie zu studieren. Voraussetzung dafür war ein Praktikum in einem Lebensmittelbetrieb. Ich bin in Breisach aufgewachsen und dort gab es zu der Zeit die größte Weinkellerei Europas – was lag also näher als dort mein Praktikum zu machen! Und weil sie in dem Jahr, 1976, große Not an Mitarbeitern hatten – das war ein Jahr, in dem die Trauben ähnlich wie jetzt 2018 eine tolle Qualität hatten und es vor allem große Mengen davon gab – habe ich dort auch nach dem Praktikum weitergearbeitet. Das Lebensmitteltechnologiestudium hatte sich zwar zerschlagen, aber der Job blieb mir auch parallel zum Lehramtsstudium.
Und Du hast es auch geschafft, Nebenjob und Studium perfekt zu verbinden!
(sie lacht) Ja, ich habe Bio und Mathe studiert. Mein erstes Staatsexamen in Bio ging über die alkoholische Gärung und mein zweites darüber, wie man das Thema Wein und Genuss den Schülern vermitteln kann.
Genau das machst Du ja eigentlich heute noch: Menschen den Genuss am Wein vermitteln.
Eben! Für mich war es damals immer Vorgabe, dass meine Schüler nicht merken sollten, dass sie lernen und dass sie auch fächerübergreifend denken. Wir haben zum Beispiel mit einem ganz anderen Thema angefangen und irgendwann haben die Schüler gemerkt, dass ich das nur besprochen habe, damit sie merken: Ach stimmt und JETZT brauche ich Mathe dazu. Es geht immer darum, Interesse zu wecken, jemanden zu überraschen und Vorurteile zur Seite zu schaffen
Aber Kunden lassen sich ja doch eher ungern belehren …
Da muss man eben ein bisschen raffinierter vorgehen. Nehmen wir zum Beispiel den Müller-Thurgau. Das ist so ein toller Wein und in Italien trinkt ihn gerade jeder. Aber in Deutschland hat er es noch nicht geschafft. Wenn dann einer zu mir kommt, der von vorneherein sagt: „Also Müller-Thurgau wollen wir nicht probieren“, dann nicke ich und denke: „Natürlich bekommen Sie den“. Dann machen wir die Weinprobe und irgendwann schenke ich etwas ein, das findet genau der Gast sehr spannend und fragt natürlich was es ist. „Ja, das ist etwas ganz Besonderes, das ist ein Müller Thurgau!“. Das macht wirklich Spaß, wenn man die Menschen so überraschen kann und – daran werden sie sich auch immer erinnern.
Die Weinproben, die heute einer deiner Schwerpunkte sind, haben dich schon während des Studiums begleitet. Du magst sie auch deswegen so gerne, weil du dabei Menschen studieren kannst, oder?
Ja! Schon bei den Weinfesten zu meiner Studienzeit war das interessant. Da gab es viele Veranstaltungen, wenn zum Beispiel Kongresse in der Stadt waren. Man konnte die verschiedenen Gruppen studieren. Die Schlimmsten waren die, die einfach nicht abschalten konnten, und immer weiter untereinander gesprochen haben, auch wenn der Wein schon eingeschenkt war. Wie gesagt, das war und ist ein bisschen wie in der Schule, aber ich habe den großen Vorteil, dass ich den Wein als beruhigendes und wahrheitsweisendes Element bei mir habe.
Wahrheitsweisend?
Ach, das passiert manchmal wenn ein Paar zu uns kommt. Dann sagt oft einer, meistens ist es tatsächlich der Mann: „ Wir haben beide den selben Geschmack“. Doch dann schreitet die Probe voran und plötzlich, vielleicht auch durch die ersten Gläschen gelockert, entdeckt die Frau ihren eigenen Weingeschmack – und der Gatte ist total konsterniert, weil sie doch nie was gesagt hat. Das ist manchmal wirklich lustig.
Apropos Mann-Frau – es hat mich sehr gefreut, dass Du spontan zugesagt hast, bei meinem ersten Culinary Ladies Dinner während der eat berlin dabei zu sein? Warum eigentlich?
Also eigentlich bin ich gar kein Freund von separatistischen Veranstaltungen. Denn ich finde, nein ich lebe, dass man immer im Team arbeitet. Aber dann habe ich gesehen, wer dabei ist, dass Du das verantwortest und das fand ich ganz interessant. Aber ich möchte definitiv nicht immer nur das Thema Frauen und Wein. Alle Menschen, die Wein trinken (oder machen) sind mir lieb und recht.
Oh, mir auch, ich hoffe ja auch, dass nicht nur Frauen die Culinary Ladies lesen oder zu solchen Veranstaltungen kommen, ich möchte nur zeigen, wie viele tolle Frauen es in der Branche, die immer als „Männerdomäne“ bezeichnet wird, gibt. Tatsächlich gibt es ja im Bereich Wein inzwischen viele Frauen, die als Winzerinnen (und natürlich auch Sommeliers) erfolgreich sind.
Ja richtig, aber dabei darf man nicht vergessen. Es sind nicht immer nur diejenigen für das Weingut verantwortlich, die im Weinberg stehen. Wenn ich überlege, was meine Schwiegermutter oder auch die Großmutter von Andreas geleistet haben – und über die hat man nie gesprochen!
Bezeichnest du selbst dich denn als Winzerin?
Wenn ich mich vorstellen, sag’ ich immer: „Ich bin die Frau des Winzers, aber wir sind ein Winzerteam.“ Und das sehe ich auch genau so. Der eine könnte ohne den anderen nicht sein. Andreas macht den Keller, unser Sohn Maximilian ist seit letztem Jahr auch dabei und wir sind ein kleines Triumvirat. Wir probieren unsere Weine im Keller gemeinsam, wir besprechen, ob einer als Großes Gewächs ausgestellt wird oder wir den Chardonnay mit dem Weißburgunder verschneiden und in welchem Verhältnis. Und es wird immer so lange diskutiert, bis wir eine gemeinsame Entscheidung getroffen haben.
Du hast dir aber auch deinen ganz eigenen Bereich geschaffen.
Das war mir auch wichtig. Denn als mein Schwiegervater uns von einem Tag auf den anderen (naja von September auf Dezember) eröffnete, dass wir den Betrieb übernehmen sollten und ich mich entschied, meine Stelle als Lehrerin aufzugeben, war das nicht ganz leicht. Ich hatte fünf Jahre in Leonberg bei Stuttgart gearbeitet, wir hatten eine (sehr gute) Wochendehe geführt und ich natürlich auch jede Menge Freiheit. Und dann kam ich auf’s Dorf und dachte erst „Mama Mia, jetzt bist du eingekapselt!“
In die Falle getappt?
Ja schon ein bisschen. Ich hab befürchtet: „Jetzt bist Du Hausfrau und Mutter und darfst ab und zu mal Wein verkaufen!“ Da haben wir gemeinsam die Idee für unsere Weinveranstaltungen und Weinmenüs, für die wir heute bekannt sind, entwickelt. Und das wurde dann langsam mein Job. Sowas gab es in der Familie vorher noch nicht und deswegen war es von vorneherein mein Part. Und ob ich jetzt eine Unterrichtsstunde plane oder eine Weinveranstaltungen …. Außerdem führe ich damit sogar ein bisschen die Familientradition weiter, denn alle Vorfahren meines Mannes bis zu meinen Schwiegereltern waren ja in erster Linie Gastronomen und haben den Wein nur für die eigene Gastronomie produziert. Das machen wir natürlich nicht, aber wir holen uns eben immer wieder die Gastronomie ins Haus oder arbeiten eng mit Gastronomen zusammen. Dafür sind wir auch viel unterwegs. Aber das liegt auch daran, dass wir Spaß daran haben.
Du sprichst auffällig oft und sehr überzeugend vom Spaß an Deiner Arbeit …
Ach weißt du, das sage ich auch immer meinen Kindern: Wo kann man denn eine solche Bandbreite an Aufgaben habe, wo einen ganzen Kreislauf miterleben, wie in unserem Beruf. Du kannst, quasi meditativ, im Weinberg sein, du kannst deine Büroarbeit machen oder unterwegs sein. Du siehst, wie etwas entsteht, wie es wächst, wie wir es ernten, wie wir im Keller (gar nicht so sehr) versuchen, es zu beeinflussen und du siehst die unmittelbare Reaktion des Kunden. Und auch wenn man das ganze Thema der Bewertungen mitmachen muss, das stärkt dein Rückgrat und deine Sicherheit, dich nicht von deinem Weg abbringen zu lassen. Du kannst mit Menschen über dein Produkt diskutieren oder es einfach genießen.
Heute ist so oft die Rede von Work-Life Balance. Aber das klingt so, als ob ihr einfach Eure Arbeit auch lebt und liebt?
Was mich wirklich aufregt. In der Werbung geht es im Herbst schon um Frühbucherrabatte für den nächsten Sommerurlaub. Im Radio stöhnen alle am Montag darüber, wie man es wohl schafft, die Woche zu überleben. Wir fokussieren immer mehr auf die Freizeit und wie wir sie finanzieren. Das ist für mich verkehrte Welt. Man kann und sollte doch auch im normalen Alltag schöne Erlebnisse haben. Bei uns haben auch Urlaubsgespräche nicht den ersten Rang. Wenn wir unterwegs sind, hängen wir halt noch ein paar Tage dran. Aber wir erleben so viel, wir lernen so viele Menschen kennen, das ist doch eine großartige Bereicherung.
Du sprichst mir aus der Seele. Ich denke, wer das Privileg hat (und das ist kein Verdienst) intelligent genug zu sein, einen Beruf zu wählen, der sollte darauf Wert legen, dass er etwas macht, was ihn auch befriedigt, sonst schmeißt er, bei allem Hype um Work-Life-Balance, zu viele Stunden am Tag seines Lifes einfach weg.
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Bildnachweise: Weingut Stigler