Zeigen, wie es eben auch geht
Im September 2019 schafft Sterneköchin Tanja Grandits in Basel die Sensation: Sie wird zum zweiten Mal „Koch des Jahres“ im Gault Millau und erhält 19 (von 20) Punkten – als einzige und erste Köchin der Schweiz und unter nur sieben Kollegen.
Sie hat zwei Michelin Sterne, ein Restaurant (das Stucki) in Basel und dort auch eine Feinschmecker-Boutique mit kleinen Versuchungen aus ihrer Hand. Sie tritt ab und zu (wenn ihr die Sendung gefällt – wie z.B. Kitchen Impossible) im Fernsehen auf. Sie hat schon zahlreiche Kochbücher geschrieben. Und sie ist glückliche Mutter einer Tochter, mit der sie inzwischen auf alle Fälle die Leidenschaft für gutes Essen teilt.
Die im schwäbischen Albstadt geborene Tanja Grandits ist die zweifelsohne derzeit erfolgreichste Köchin der Schweiz. Ihre Küche wird nicht nur seit Jahren vom Michelin mit zwei Sternen ausgezeichnet, zuletzt wurde sie von diesem Restaurantführer mit dem „Female Chef Award“ geehrt. Schon 2003 wurde sie vom Gault Millau zur „Köchin des Jahres“ gewählt (eine Ehrungskategorie, die es nur in der Schweiz gibt). Und 2006 wurde sie Gault Millau „Koch des Jahres“. Und das hat sie fast noch mehr gefreut, wie sie im Gespräch, das ich mit ihr für das Buch „Frauen an den Herd“ (hier im Ausschnitt) geführt habe, erzählt.
Denn eigentlich mag sie die Unterscheidung in Koch und Köchin nicht so
Stimmt. Denn ich denke, was meine Arbeit betrifft, nie darüber nach, ob ich eine Frau oder ein Mann bin. Zu meinem Selbstverständnis gehört, dass ich einfach eine Person bin, die ganz viele Sachen liebt, eine große Leidenschaft für schöne Dinge spürt und die gleichzeitig das große Glück hat, das alles mit einem Team zelebrieren zu können. Da ist es für mich nicht wichtig, ob ich eine Frau bin.
Aber für die Umgebung ist es wichtig?
Für die ist es sehr wichtig. Tatsächlich ist es die meistgestellte Frage von Journalisten und Gästen: „Wie ist das eigentlich als Frau in der Spitzengastronomie?“ Aber ich habe gar keine Antwort auf diese Frage habe. Dass Frauen am Anfang eines Berufsweges überall dabei sind, aber nur noch wenige am Ende, wenn es um die Spitzenpositionen geht, ist doch nicht nur in der Gastronomie so. Es studieren auch mehr Frauen als Männer, aber Professorinnen gibt es trotzdem ganz wenige.
Oft sind diese Entscheidungen der Frauen aber auch freiwillig.
Ja genau, das zu betonen, finde ich auch einmal ganz wichtig. Es geht nicht immer darum, sich zu beschweren und zu beklagen: „Ich bin so benachteiligt“. Damit kommt man doch keinen Schritt weitern. Klar kann man auf Probleme aufmerksam machen, wie zum Beispiel ungleiche Bezahlung, aber ständig zur klagen ist so destruktiv und undynamisch. „Ich arme Frau“, das geht einfach nicht. Viel wichtiger ist es doch zu zeigen, wie es eben auch geht.
Das war ja auch der Ausschlag dafür, dass Du doch mit diesem Interview einverstanden warst. Denn ein Vorbild dafür, wie es auch geht, bist Du gerne,
Ja, das ist mir erst richtig aufgefallen, als ich den Best Female Chef-Award von Michelin bekommen habe. Zuerst war ich ein bisschen stutzig. Schon wieder ein Frauen-Preis! Doch dann sind sehr viele junge Frauen auf mich zugekommen und haben mir gesagt, dass ich Vorbild für sie sei. Das finde ich toll. Aber es gilt übrigens auch für viele Hobbyköchinnen, die sind mir auch wichtig. Ich schreibe ja eine wöchentliche Kolumne für die Coop-Zeitung mit ganz einfachen Rezepten, nur mit neuen Idee und Anregungen. Und wenn ich dann von ganz jungen und ganz alten Frauen das Feedback bekomme, dass sie sich so inspiriert fühlen, freut mich das schon sehr.
Hast Du denn auch Frauen in ihrem eigenen Team?
Ich bin jetzt über 10 Jahre hier und hatte wirklich viele tolle Köchinnen im Team. Eine hat sich gerade hier in der Nähe selbstständig gemacht. Und zur Zeit ist eine junge Köchin bei mir, die hat ihren ganzen Urlaub aufgespart, um hier eine Stage (Praktikum Anm. der Red) zu machen. Das ist unbezahlt, aber sie ist so voller Freude und Motivation dabei, an solchen Frauen habe ich selbst richtig Freude.
Wahrscheinlich sind aber tatsächlich Vorbilder wie Du (und die anderen Frauen in diesem Buch) nötig, damit junge Frauen sehen, wie es gehen kann. Das man keine einsame Frau werden muss, wenn man an der Spitze einer Küche steht.
Ja genau, wir leben hier auch wie in einer Familie, haben eine tolle Atmosphäre. Mir ist es wichtig, so offen und freundschaftlich zu arbeiten. Natürlich muss man respektvoll miteinander umgehen, aber man sollte sich auch verbunden fühlen. Vielleicht ist das ja auch das Weibliche, das Mütterliche, dass man immer ein bisschen schaut, ob es allen gut geht.
Hattest Du selbst ein weibliches Vorbild?
Nein gar nicht. Ich hatte immer nur ein Idol und das war Eckart Witzigmann. Mein erstes Kochbuch, das ich mir in Lehre war vom ihm. Ich fand den immer toll. Und inzwischen sind wir richtig befreundet. Er hat einfach eine Größe und ein bisschen etwas Erhabenes an sich, auf eine gute Art.
Zu Deiner eigenen Karriere. Du hast zunächst Chemie studiert, dann festgestellt, dass das doch nicht das richtige für Dich ist, sind ein Jahr nach Amerika gegangen und haben beim Schwäbisch-Kochen für ihre Gastfamilie ihre Liebe zum Kochen entdeckt.
Ja genau (sie lacht). Also eigentlich gab es natürlich alles Mögliche, aber vor allem habe ich jeden Tag gekocht und dabei gemerkt: Genau das ist es tatsächlich, was ich jeden Tag machen möchte.
Wobei Sie sich dann gleich mal in der Traube Tonbach (3 Sterne) beworben haben?
Ehrlich gesagt, mir ging es einfach um einen guten und schönen Ort und ich wollte einen großen Betrieb, in dem ich viel lernen konnte. Über Sterne und Karriere habe ich mir keine Gedanken gemacht, das ist ohnehin nicht meine Sache. Ich lasse Dinge lieber auf mich zukommen. Und ehrlichgesagt war die Ausbildung dort auch nichts Besonderes. Ich war vor allem für das Frühstücksbuffet in der Köhlerstube, dem Zweitrestaurant, zuständig. Aber das war egal. Nachmittags, also in meiner Freizeit, habe ich einfach freiwillig für die Wohlfahrt-Köche die Sachen gerüstet und Gemüse geschnippelt. So bin ich wiederum an Rezepte von denen gekommen.
Vielleicht geht es ja darum: man muss eben einfach mal machen und sich selbst kümmern – egal ob Mann oder Frau?
Genau. Männer und Frauen sind da auch völlig gleich behandelt worden, die männlichen Lehrlinge hatten genau so wenig Anerkennung oder eine richtige Ausbildung wie ich.
Aber letztendlich hast Du dort deinen Abschluss mit Bestnote gemacht und dann ging es nach England und Frankreich.
London war die erste Stelle nach der Lehre. Ich wollte einfach internationale Geschmäcker entdecken und in London findet man ja alles, was es so gibt auf der Welt.
Frankreich muss einfach auf dem Plan stehen. Ich ging in die Provence und es war wunderbar: Der frischen Ziegenkäse, Fisch aus dem Meer, toller Honig, Gewürze und Kräuter, das Gemüse und alles, was da wächst und blüht. Und die Märkte! Natürlich hatten wir auch in London tolle Produkte, aber man hat alles bestellt, und so ist es so anonym geblieben. In der Provence sind wir selbst einkaufen gegangen, das war einfach herrlich.
Dort hast Du auch deinen Mann kennen gelernt. Ihr seid gemeinsam in die Schweiz gegangen und haben sich bald selbstständig gemacht. Dabei waren Sie von Anfang an die Küchenchefin – was ja eher ungewöhnlich ist. Und Du bist in dieser Zeit auch noch Mutter geworden- und kurz bevor Deine Tochter geboren wurde, wurdest Du Köchin des Jahres. Ganz schön viel
Ehrlichgesagt, vor der Geburt konnte ich mir gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn das Kind da ist. Ich wollte auch nichts organisieren. Also haben wir erst ganz kurz davor jemanden gefunden, der auf sie aufpassen konnte, wenn ich im Service (Zeit, in der die Gäste im Restaurant sind, Anm de. Red.) war. Wir hatten beschlossen, dass ich mittags nicht arbeite, aber im Abend-Service war ich eben schon dabei. Nach einem halben Jahr haben wir ein Au-Pair gesucht und sie, Hilal, ist heute noch, nach über 13 Jahren meine Assistentin. Auf diese Weise hat das immer funktioniert.
Nur noch eine kurze Bemerkung zu Tanja Grandits Küche – denn tatsächlich wird bei ihr oft von einer „weiblichen“ Küche gesprochen. Ich habe sie gefragt: Was bitte ist „weibliche“ Küche?
Ich denke, das liegt wahrscheinlich daran, dass ich mit bestimmten Aromen und viel mit Farben arbeite. Dass ich zum Beispiel von einer Hibiskus-Hollondaise ausgehe und dann ist das ganze Gericht pink. Aber ich nehme ja nicht nur „weibliche“ Produkte. Bei mir gibt es auch mal einen Schweinebauch. Der ist dann allerdings schon delikat gewürzt, vielleicht mit ganz viel Ingwer und Zitronengras und vielen Kräuter, statt nur kräftig oder mit viel Chili. Und was ich wirklich nicht so mag sind Rauch- oder Speckaromen, weil ich finde, dass beide sehr schnell alles überdecken. Aber ich esse trotzdem wahnsinnig gerne ein schönes Steak vom Grill. Vielleicht ist alles etwas zarter und das Brachiale fehlt, aber ehrlich gesagt, gibt es auch viele männliche Kollegen, die so kochen.
Warum Tanja Grandits sogar überzeugt davon ist, dass ihre Tochter mit Hilal eine bessere Erziehung bekommen hat als sie es alleine geschafft hätte und in welchem Bereich Frauen vielleicht doch ein bisschen besser sind als Männer, steht im ausführlichen Interview im Buch „Frauen an den Herd“, erschienen 2018 im Christian Verlag, erhältlich bei Geniallokal und natürlich auch im Buchhandel.
Bildnachweis: Porträt und Restaurant – Tanja Grandits, Foodbilder Annette Sandner