So viel Tradition bringt auch Verantwortung
Vor dem Interview mit Manuela Radlherr, der Chef-Pâtissière des berühmten Wiener Café Central muss ich für alle, die es tatsächlich nicht kennen, ein bisschen über dieses Café erzählen. Dazu kommen ausnahmsweise auch ein paar beeindruckende Zahlen. So wird deutlich, dass Manuela Radlherrs Aufgabe in diesem Traditionshaus sicher eine der wichtigsten der Wiener Gastronomie ist.
Das Cafè Central – Treffpunkt für Dichter und Denker
„Treffen sich ein Revoluzzer (Leo Trotzki), ein Psychiater (Sigmund Freud), drei Dichter (Alfred Polgar, Stefan Zweig, Peter Altenberg) und ein Architekt… “ (Adolf Loos)
Was wie der Beginn eines Witzes klingt, war einst im 1876 eröffneten Café Central friedlicher Alltag. Bei Kaffee, Kuchen und der einen oder anderen Zigarre waren hier die größten Dichter, Denker und – ja auch Fabulierer – in der wohligen Atmosphäre von Wiens schönstem Kaffeehaus vereint.
„Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine Schale Kaffee zugänglicher Club, wo jeder Gast für diesen Obulus stundenlang, diskutiere, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann.“ (diese Beschreibung von Stefan Zweig trifft bis heute zu)
Eigenständiger Damenbesuch mit Kopfbedeckung – Frauenrechte im Café Central
Es ist schon hundert Jahre her – oder doch erst? Wenn wir uns Gedanken über Gleichberechtigung heute machen, vergessen wir oft, was vor „nur“ 100 Jahren schon als große Errungenschaft galt: Das Café Central war das erste Café in Wien mit eigenständigem Damenbesuch. Damals war es den feinen Damen der Wiener Gesellschaft nicht erlaubt Caféhäuser ohne die Begleitung eines Herrn zu betreten. Nur in den Schanigärten – also unter freiem Himmel – durfte man öffentlich einen Café auch ohne Herren, dafür aber mit einer Anstandsdame, genießen. Doch der einzigartige Innenhof mit Glasdach im Café Central erlaubte es der Wiener Damenwelt im Inneren des Hause – aber doch irgendwie im Freien – selbstständig auf einen Kaffee zu gehen. (auf diesem Bild aus der Zeit der Jahrhundertwende ist davon allerdings noch nichts zu sehen)
Café Central Kulinarik in Zahlen
Pro Jahr werden im Café Central unglaubliche 300.000 Mehlspeisen serviert, gefolgt von 140.000 warmen und kalten Speisen und 320.000 Tassen Kaffee. Die Bestenliste wird angeführt von 55.000 Portionen Apfelstrudel, gefolgt von der Sachertorte mit 25.000 und dem Kaiserschmarrn mit 16.500 Portionen. Aber auch 15.000 Wiener Schnitzel kommen aus der Central Küche, die Frühstück, klassische Wiener Küche und natürlich die süßen Sehnsüchte bedient.
Nur mit der Beschaulichkeit der Gründerjahre ist es heutzutage vor allem zu Tourismus-Hochzeiten wie im Sommer oder zur Weihnachtszeit vorbei. Da stehen schon mal Schlangen vor der Tür und warten auf Einlass. Wer aber nur ein wenig außerhalb dieser Zeiten kommt, kann wie immer in Ruhe genießen, lesen und schauen.
Manuela Radlherr – Café Central statt Australien
Offensichtlich haben Manuela Radlherrs Eltern ihre Tochter mit der Leidenschaft für Brot und Süßes angesteckt, denn sie führten selbst eine eigene kleine Konditorei und Bäckerei. Ihre Konditorenlehre machte Manuela Radlherr aber nicht im elterlichen Betrieb sondern in kleinen Konditorei im Wiener 16. Bezirk – und hängte der Konditorenmeisterin dann gleich noch die Bäckermeisterin dran. In ihrer aktuellen Position muss die Chefpattisière des Café Central natürlich ab und zu auch in vorderster Medienfront stehen – und so lästigen Menschen wie mir Interviews geben. Es ist nicht ihre Lieblingsbeschäftigung, aber sie tut es – nicht zuletzt um jungen Menschen Lust auf diesen Beruf zu machen – auch Männern!
Eine andere Konditorin hat mir einmal erzählt, sie sei am Anfang ziemlich schockiert gewesen, als sie von der „heilen Welt“ der Konditorei in ein Restaurant mit seiner Hektik gewechselt habe. Das Café Central ist vom Ablauf her eher Restaurant als Konditorei. Ist Ihnen da der Einstieg schwer gefallen?
Bevor ich hierher ins Café Central gekommen bin, war ich ja auch schon bei Do & Co. Das ist zwar Partyservice, kommt aber im Ablauf einem Restaurant schon nahe. Die Arbeit hier war also nicht der totale Kulturschock. Aber es stimmt schon, die Arbeitsabläufe und auch die Atmosphäre sind in einem Restaurant ganz anders als in einer Backstube.
Ihre erste Anstellung im Café Central war als Sous-Chefin (eine Position unter der Chefin/dem Chef), damals noch unter Pierre Reboul. Hat man Ihnen danach gleich die Chefstelle angeboten?
Nein, denn ich bin danach selbst erst einmal nach Australien gegangen.
Das ist ja der nächste Weg! Wieso Australien?
Es war ein Traum von mir. Ich wollte unbedingt nach Australien auswandern. Ich hatte Verwandte dort und konnte auch in einer kleinen Konditorei arbeiten. Aber leider hat mir dann beim Englisch-Eignungs-Test, der Voraussetzung für die Einwanderung ist, zwei mal jeweils ein halber Punkt gefehlt. Auch wenn man den Test beliebig oft wiederholen kann, ich dachte damals: „Dann soll es wohl nicht sein“. Und vielleicht war das auch richtig so, denn als ich wieder zurückkam, hat man mir diese Stelle hier angeboten. Und hier bin ich jetzt seit fast acht Jahren.
Was machen Sie denn am liebsten?
Wenn Sie mich nach dem Handwerk fragen: Teige, insbesondere Croissants. Aber was meinen Job als Chefin betrifft: Wir haben hier eine ganz besondere Möglichkeit für unsere Lehrlinge: Gleich hinter dem Eingang sehen Sie die große Vitrine mit den vielen süßen Stücken und ein paar Schaustücken. Die mache ich zusammen mit meinen Auszubildenden. Dabei dürfen sie auch eigene Stück kreieren, die dann als „Limited Editon“ in die Vitrine kommen und natürlich auch bestellt werden können. Das ist ein tolles Gefühl für die jungen Leute. Aber auch sonst legen wir sehr viel Wert auf eine gute Ausbildung und sind daher auch sehr stolz darauf, dass wir eine Auszeichnung als bester Lehrbetrieb bekommen haben.
Wie viele Lehrlinge arbeiten bei Ihnen in der Pâtisserie?
Aktuell sieben Lehrlinge und insgesamt 18 Mitarbeiter.
Und wie viele davon Frauen?
Die meisten. In der Backstube habe ich jetzt aktuell zwei Herren, einen Souschef und einen Lehrling. Das finde ich eigentlich schade. Ich versuche jedes Jahr einen Burschen aufzutreiben, aber das ist wirklich schwierig.
Woran liegt das denn? Denn gleichzeitig sind die großen Pâtissiers in der Spitzengastronomie doch fast ausschließlich Männer …
Stimmt, aber das sind eben meistens Köche, die sich dann als Pâtissiers spezialisieren.
Und dann liegt es wahrscheinlich wieder an den Arbeitszeiten, die sich nicht so gut mit Familie vereinbaren lassen. Obwohl, als Bäcker hat man ja auch nicht gerade einen Nine-to-five Job? Soviel ich weiß, stehen Bäcker mitten in der Nacht auf?
Ja, in der Bäckerei musste ich immer um Mitternacht anfangen, beispielsweise um die Teige zu mischen.
Und hier?
Hier fangen wir erst um vier Uhr früh an.
Na, das ist ja praktisch Ausschlafen!
Eh eh! Und der Tag geht dann auch nur bis 13.00/14.00 Uhr. Aber hier haben wir natürlich auch Schichtwechsel, die Spätschicht geht von 14.00 Uhr bis 22.30 Uhr. Beides hat seine Vorteile. Nur anfangs habe ich selbst immer gewechselt – zwei Wochen Früh- und zwei Wochen Spätschicht – das ist dann aber auf die Dauer für den Biorythmus nicht so gut. Und irgendwann habe ich meinem Team gesprochen und wir haben uns darauf geeinigt, dass ich nur die Frühschichten übernehme. Daran kann man sich gut gewöhnen.
Sie haben vorher gesagt, dass Ihnen die Ausbildung der Lehrlinge großen Spaß macht, ist das Nachwuchsproblem in der Pâtisserie denn genauso groß wie in der gesamten Gastronomie?
In der Branche wahrscheinlich schon. Aber wir haben hier natürlich einen großen Namen, also haben wir schon genügend Bewerbungen. Nur ist es nicht immer ganz leicht, die richtigen herauszufinden. Diejenigen, die auch eine realistische Vorstellung von dem Beruf haben und mit dem ganzen Herzen dabei sind.
Nochmal kurz zurück zu ihren weiblichen Mitarbeitern. Ich habe von anderen Konditorinnen schon gehört, dass man, wechselt man von einer Konditorei/Bäckerei in eine normale Küche, gerne mal als „süßes Mädel“ abgestempelt wird.
Also bei uns gar nicht. Und wenn „meine“ Auszubildenden nach der Lehre in ein Restaurant gehen, mag das zwar eine kleine Umstellung sein. Aber hier arbeiten sie ja auch mit Köchen zusammen und machen nicht nur Konditorei sondern auch Pâtisserie, also Desserts. Im Gegensatz zu relativ ruhigen Backstuben in einer Konditorei, in denen meistens nicht mal ein Telefon klingelt, ist der Betrieb bei uns ganz anders. Das zeigen ja schon die Zahlen. Deswegen glaube ich, nein ich weiß: Wenn sie von uns hier weggehen, dann finden sie überall einen Job und kommen bestens zurecht.
Sie selbst sind ja ein wunderbares Vorbild, was man als Konditorin/Bäckerin erreichen kann, auch als Angestellte.
Vielleicht. Aber ganz ehrlich: Ich bin gerne Vorbild, wenn wir gemeinsam produzieren. Was ich aber nicht so gerne mache, obwohl ich das als Chefpâtissière natürlich ab und zu muss, ist im Mittelpunkt zu stehen (sie lächelt).
Umso dankbarer bin ich, dass Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, mit Ihnen zu sprechen. Eine neugierige Frage am Ende, die ich als Frau hoffentlich stellen darf: Sie sind wirklich schon Mitte 40? Das hätte ich nie gedacht:
(sie lacht) Ach wissen Sie, meine Mädels halten mich schon auf Trab.
Und dann entlasse ich sie wieder – und habe nur noch ein Problem: Ich kann mich kaum entscheiden, welches der Schaustücke ich jetzt vernaschen möchte.
Hier geht‘ zur Website des Cafè CentralDas Café Central wird von Palais Events im Palais Ferstel betrieben, einem prunkvollen Palais im Stile des venezianischen Trecento.
Bildnachweise: Café Central